Ullip, der Studiomane

Ullip der Studiomane, der seine CDs konsequent so  als ,direc­tors cut’ abmixt, dass es unwiederholbare  Unikate werden, überträgt seine Art, in der Musik nicht  mehr  zwischen Sound und Beat, also zwischen Melodie,  Instrument, Klang und Rhythmus zu unterscheiden und sie im Kopf als ganz verschiedene Dinge zu betrachten, auch auf den Umgang mit der Recording-Technologie.
 
„Ein Live-Auftritt ist und bleibt ein Live-Auftritt." 

Es ist geradezu widersinnig, ihn auf Konserve bannen zu wollen in der Hoffnung, er würde sich erneut als emotionales Erlebnis vermitteln. Die Musik, die Hörer einer CD erleben, ist jene, die ihr Lautsprecher macht. Und deshalb muss eine CD über die Klang-Eigenarten von Lautsprechern mit den Hörern kommunizieren. Musik auf CDs ist daher Musik für eine eigene Soundwelt: die der Lautsprecher“. Entsprechend geschieht auf seinen CDs etwas anderes als beim Live-Auftritt, „sogar etwas ganz anderes als bei der Aufnahme im Studio!“. Dafür sorgt, banal und technisch gesehen, ein Repertorie an heute üblichen PC-Programmen und dazugehörige Sound-Technik. „Der Unterschied zwischen live spielen und CDs abmischen ist vom künstlerischen Standpunkt gleich Null: ich muss dem Augenblick dienen. Live heisst dies, Stimmung und Reaktion des Publikums beeinflussen meine Musik und umgekehrt, ich beeinflusse die Emotionalität des Publikums durch Lautstärke, Ryhtmus, Klangvariation ein, weil ich die Reaktionen der Leute spüre und direkt umsetze. Und im Studio, für die CD, muss ich etwas schaffen, was der Welt des ,Hörens ohne Feedback’ entspricht. Wer eine CD anhört, sieht nicht die Musiker, nimmt nicht an einem Gruppenerlebnis teil. Und ich weiß nicht, in welcher Stimmung sich die Hörer in diesem Moment befinden. Wer eine CD abmischt, hat daher immer zwei Alternativen: Musik, die man ,nebenbei’ hören kann oder solche, die auf die Konzentration, das Erleben, die Stimmung der Hörer Einfluss nimmt.“ Wohl unnötig zu sagen, welchen Weg Ullip wählt. Das, so sagt Ullip, sei eben ,Musik für die Lautsprecher’ oder „die Ehrlichkeit des CD-Samplings“.

Ullip, the brand of himself’
Heute produziert Ullip Live-Gigs und -Performances ebenso wie CD-Cuts. Eine Reihe von Projekten wurden und werden von ihm inszeniert, inspiriert, produziert und vermarktet. Seine Phantasie kennt kein Ende, seine Energie zwingt ihn geradezu, das, was heute ist - und recht, was erst gestern war -, bereits morgen in Frage zu stellen und es erneut zu versuchen. Nicht, dass das Bisherige falsch, schlecht, unnötig war. Sondern weil ein Ergebnis auch immer ein Schlussstrich ist und nach dem Schluss ein neuer Anfang kommen muss. Denn was sonst hätte den Namen ,Kreativität’ verdient?
 
Ullip,wie es und er wurden

Das Leben vor der Musik fing mit Musik an
Es muss im 12 Lebensmonat ge­wesen sein, als sich der Knabe für Kochlöffel interessierte. Doch statt der Mutter helfend den Brei zu rühren, trommelte er den Sound des plärrenden Radios mit. Psychologen würden herausfinden, dieser Einröhren-Sound hatte sein Leben geprägt. 
Verständlich, dass die Eltern, der Vater immerhin als Schreiner an kreischende Sägen gewöhnt, erst einmal auf Blockflöte bestanden. Ein fataler Fehler: Blockflöten ähneln Kochlöffeln, Kochlöffel Trommelschlagstöcken und da war doch dieser Grass mit seinem Roman .... 
Aber weiter mit Ullip: Die Holz-Block­flöte wurde also trotz Schreinertradition ein Flop, statt dessen wurde ihm ein Metallophon übereignet. Das wurde ausgiebig attackiert, bis es irgendwie im Unterricht in der Schule abhanden kam. 

Das nächste Instrument war ein logischer Kompromiss. Metall plus Holz, also Gitarre. Es wurde nach Art der Schlaggitarre gespielt, wie auch sonst. 
Armut oder Geiz von Eltern setzt bekanntlich Kreativität frei. Als der pre-pubertäre Ullip CANs erste LP ,Monstermovie’ mit dem damals prinzipiell neuen ,chain reaction’, dem Zusammenspiel der ganz anderen Art, zu Gehör bekam – so was ganz anderes wie der dominante John Mail and the Bluesbraekers – beschloss er, sich selbst ein Schlagzeug zu bauen. 

Er wollte nicht nur teilhaben, er wollte Teil sein. Freilich gelang dies mit der Waschpulvertrommel-Schießbude nur beschränkt und so war im Ullip-Jahr 14 der Vater bereit, ein echtes Schlagzeug zu kaufen.

Nun war keine Tonübertragung mehr vor ungebetener Begleitung sicher. Vor allem nicht Can. Oder John Mail, Colloseum, Gong und Tangerine Dream. Also das ,cutting edge’ des damaligen angesagten Jazz-Rocks. 

Schon Musik, aber noch nicht Syph
Ullip fand in Solingen zwei Musikbegeisterte und spielte, heute bekennend: „allerlei Kram, der nichts taugte“. Unbefriedigend für ihn. Psychologen wird klar sein, jetzt kommt die Sublimations-Phase: was anderes an Stelle des nicht Richtigen.
Er hat, warum auch immer, schon damals immer mit Bändern und Kassettenrekordern experementiert und für die damalige Zeit abenteuerlich unkonventionelle Stücke gebastelt - das Archiv hat heute noch 600 Tapes auf Lager.
Und wer kein Echo hat, macht sich eins, Ullip war vom Echogerät begeistert und spielte unentwegt mit den Wiederholungseffekten herum. Eigentlich so eine Art von frühem Sampling. 

Endlich: S.Y.P.H.

Man sagte ihm damals „Du musst nur schnell spielen, egal was“. So begann es: Ullip als erster Schlagzeuger von Syph - man schrieb sich in der pränatalen Phase noch ohne Punkte. Damals war Uwe Jahnke, Gitarrist, bei seinem Vater in der Schreinerlehre, Ullip bereits Geselle. Und so kamen sie ins Gespräch über Musik. Er war es, der Ullip zu einer Probe in die Bar von Thomas Schwebel (damals der zweite Gitarrist) mitnahm, denn Leadsänger Harry Rag hatte die Idee der Bandgründung namens Syph gehabt.
Syph, das wird kein Fremdzüngiger verstehen, ist uralte Solinger Mundart. Irgendwie ein Haufen Kram, ein Chaos, etwas, was einfach liegengeblieben ist. Die Geburt der Band fand in der „Loos Maschinn“ statt, einem uralten Fa­brikgebäude, in dem zuvor die Solinger Messer- und Klingenzunft ihre weltberühmten Erzeugnisse gefertig hat. Irgendwann war da und dort Ende - das Zeug blieb liegen - und vier Musiker begannen mittendrin, was Musiker in jungen Jahren immer tun: die Welt neu zu erfinden. Mit dem Anspruch, von der Welt gehört zu werden.

Die Voraussetzungen waren geradezu goldig: es gab eigene Texte und einen (einzigen) bereits gebuchten Auftritt: im Karschhaus Düsseldorf. Harry Rag hatte damals im Düsseldorfer Ratinger Hof – der legendären Institution für die Kunst- und New-Wave-Szene – erzählt, dass es die Band Syph schon gäbe, was aber nach heutigem Verständnis nur als cooler PR-Gag zu sehen war. Und dann diese wirklich reale Mucke! Vorlaufzeit 2 Wochen. Der Auftritt gelang und ab da ergab das eine irgendwie immer das andere. 

So unter anderem die legendäre Eröffnung des SO 36 in Berlin Kreuzberg . Da spielten bunte Mixe aus allen Bands des Ruhrgebietes. Es gab kein Konzept. Heraus kam eine geniale Veranstaltung, bei der zwischen grauseliger Musik und genialer Performance einfach alles geschah. Es gibt davon eine LP in einem absoluten Spezial-Cover (Stahlplatten 3 mm dick). 100 Stück sind gemacht worden. Eine absolute Rarität. Auch wurde die ganze Horde mal zum alternativen Kulturfestival nach Wien eingeladen. Das war eine echte Werbung für „deutsches Kultur ist Sch....- >ggg<“.
S.Y.P.H. zu sein war seinerzeit durchaus Selbstzweck mit Außenwirkung. Ullip schien das ,So-sein-müssen-wie-andere’ anzukotzen (sagt er selbst) und positionierte sich irgendwie anders. Selbst lange Haare - punk-untypisch - und Hippi-Klamotten - ein Affront -, konnten die Szene nicht davon abhalten, sich an S.Y.P.H. von Gig zu Gig zu gewöhnen.
Nur nicht die, allen Propheten geht es so, allen, nicht die in der Heimatstadt. Ein paar Gigs auch in Solingen. Man blieb dort immer so eine Art Legende. Die unantastbaren Kunstpunks, bedacht mit spöttischem Neid. Deshalb hatte die Orientierung nach Düsseldorf eigentlich mehr praktische Gründe: dort gaben Leute Geld für die Musik aus, die S.Y.P.H. machte. Im Ratinger Hof war der Bär los und so traf man sich dort.
Dort entstand die erste LP (Beton). Carmen Knoebel führte damals den Ratinger Hof als Pächterin, sie produzierte die ersten drei LP`s.

You CAN, I CAN

„Für mich war das damals ein musikalisches Schlüsselerlebnis“ resümiert Ullip seine Integration in Can. 

Einer der S.Y.P.H.-Leute hatte einfach versucht, als Reporter seiner Schülerzeitung ein Interview mit der Gruppe Can zu bekommen. (Daraus wurde eine Kasette mit Mitschnitten dieses Interviews mit live gespielten Soundtracks aus dem Studio der CAN in Weilerswist. Diese wurde in eine Konservendose eingeschweißt. Es gibt nur 100 Stück davon. Sammler in Japan bezahlen bis zu 5000 Dollar dafür). 
Der Kontakt riss nie ab, Carmen aus dem Ratinger Hof kannte die Can-Leute logischerweise auch. Mutiger Schritt nach vorne: Holger Czukay, Can-Bassist, anrufen, der gerade seine zweite Soloplatte nach seiner Trennung von Can machte (LP „Movies“, bekanntestes Stück daraus „cool in the pool“). Er war auf der Suche nach Inspiration. Und die konnte ihm S.Y.P.H. geben - und umgekehrt. 

Vielleicht war das die Phase, nein sicherlich war sie es, wo Ullip von der Musik zu den Klängen wechselte. „Manchmal machte er Dinge, die wir gar nicht verstanden oder machen wollten. So entstanden bei den Aufnahmen im ,Inner­space’-Studio Weilerswist – einer späteren Heiligen Halle der deutschen Erfolgreichen Topmusiker – die unterschiedlichsten Spektren und Bandbreiten der Musik der S.Y.P.H-Leute und Holger Czukay. 
 
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Happy Happenings, good old time
Diese Fähigkeit zum „die Musik machen lassen, was sie gerade will“ machte im Laufe der Zeit Ullips und der S.Y.P.H. Auftritte zu wahren Happenings. Keiner war wie der andere. Auch, unter anderem, ein schlauer Trick. „Wir waren so nie ausrechenbar. Wir konnten nicht an der eigenen Leistung gemessen werden und immer neue Sachen ausprobieren ohne dass jemand erwarten konnte, was bekanntes zu hören.“
Die Arbeit von Holger Czukay an der S.Y.P.H.-LP setzte sich so auch auf seiner eigenen fort. Teile auf seiner LP „on the way to the peak of normal“ sind komplett übernommen worden. „Wir haben uns also gegenseitig was gegeben.“ 
 
Ein Stilelement wurde für Ullip prägend: Holgers Art, Musik am Schneidetisch neu zusammenzubauen. Und so ist heute der Schneidecomputer Ullips wirklich wahres Instrument. Remixes, Remakes, Recordings.

Bit’s, immerwährend

Alles hat seine Zeit. Die Livezeit von S.Y.P.H. war 1982 unterbrochen worden. Jojo Wolter, der als Bassist bei der ersten LP 1979 dazu kam, und Ullip machten im Studio mit experimenteller Musik weiter und gründeten das Projekt ,Bit’s’.

Die Experimente: Sounderzeugung mit Dingen, die dafür eigentlich nicht vorgesehen sind. Tonaufnahmen von Klängen, die keine Vorbilder hatten. Dazu kam aber auch bei beiden ein interaktives musikalisches Zusammenspiel , man kannte sich „blind“, Voraussetzung für ,chain reaction’, Kettenreaktion: impulsive Variationen des einen Spielers führen sofort zum Verändern der Spielweise des anderen. Wie im Fisch- oder Vogelschwarm: Nicht zu sagen, wer die Richtung ändert, aber immer alle auf einmal. 

„Das absolut Schwierige ist die Balance zwischen Dominanz und Anpassung. Denn anders als beim Jazz gibt es keine abgesprochenen Sequenzen und schon gar keine Traditionen, wer wann wie welches Solo spielen kann, muss oder soll. Bei unserer Art experimenteller Musik war das Neue zugleich das Endgültige.“ Das führte logischerweise zu langen Studioabenden, es entstanden endlos Bänder voller unterschiedlicher Sessions. Alles wurde „direkt auf Senkel gespielt“, also auf Band. 

Aus dem Kontakt zu den Can-Leuten konnte man das Studio von Michael Karoli in Nizza, Frankreich – mit dem suggestiven Namen ,Outerspace’ benutzen. Man fuhr hin und machte atemberaubende Aufnahmen, veröffentlicht auf einer Maxi-Single. Diese bekam ausgezeichnete Kritiken, erreichte aber nie große Stückzahlen. 

Carmen Knoebel machte gerade das Rahmenprogramm für die Dokumenta 7 . Da lag es nahe die „Bit´s „ auch dort unterzubringen. Es war ein Top Event. Jedoch spielte nicht mehr Waldemar die Gitarre, sondern wieder Uwe Jahnke. Tragischerweise, denn Waldemar hatte sich inzwischen von der Müngstener Brücke zu Tode gestürzt. 

Das Studio wurde Ullips neues Zuhause, er machte es zum Nebenberuf, betrieb es gewerblich und produzierte. Unter anderem: Prinz Poloroid und der Freie Westen und Sequenzen für das Pina Bausch Tanztheater sowie mit dem Bruder von Gaby Delgardo (DAF), deren Gruppe damals Assiniboins hieß.

Pure Freude
Das ist eine Idee von Harry Rag. Er entwickelte auch das Logo mit den drei Affen. Carmen kam dann dazu. Eine echte Triole: jeder hatte das Recht, unter dem Label Sachen zu veröffentlichen, wovon reichlich Gebrauch gemacht wurde.
Und: von denen, die sich einst selbst helfen lassen mussten und wollten, wurden welche, die anderen halfen: Sie haben viele Bands über dieses Label in Deutschland bekannt gemacht. Die Raincoats waren zum Beispiel eine Britische Band, die bei Pure Freude veröffentlichten, oder beispielsweise „Dunkelziffer“
Back again to be the new one
Heute ist Ullip back again. Mit all den Dingen, die er immer schon gemacht hat und die seine wahre Identität sind. Mit Musik, die zu Klängen mutiert. Mit Life-Auftritten, die chamäleon-gleich so sind, wie die Stimmung ist oder umgekehrt (?!), mit Abmischungen im Studio, die neue Sounddimensionen der Live-Einspielungen erzeugen.
Doch immer unter dem asketischen Gelöbnis der Askese: nie Effekte des Schnittcomputers einzusetzen, nur weil diese Effekte zufällig verfügbar sind. Stimmung und das Volumen an Feeling, das die Musik zu erzeugen vermag, bestimmen die Verwendung des Materials und den Umgang damit.
Aber Technik auch als Instrument: Rekursionen, die Musik wird rückwärts gespielt, echohafte Duplizierungen - doch Finger weg vom Equalizer, nur um einen Sound zu schönen. Das Direkte, so die Maxime, muss zu hören sein, sonst kann die Bearbeitung nicht ihre andersdimensionale Direktheit entfalten.
Nur die alten Vokabeln passen kaum noch. Experimentalmusik ist das nicht mehr, weil es zum Stil geworden ist, so gewollt und so gekonnt beherrscht. Suche ist es nicht mehr, Sucht - vielleicht - noch nicht.
Es ist, so sagt Ullip von sich selbst, „die Erkenntnis, dass wir damals etwas begonnen haben, was des Fortführens wert ist. Musik gleicht ja auch der Malerei: irgendwann entwickelt man einen Stil, der wiederum Kraft genug hat, sich selbst und anderes weiterzuentwickeln. Der nicht durch seine Wiederholung verstanden wird, sondern Wirkung entfaltet, weil er plötzlich zur Selbstverständlichkeit geworden ist.“
Ullip wird diesen Weg fortsetzen. Egal in welcher Form und welchem Namen. Weil es logisch ist, dass es einer tun muss. 
Es: „chained music“. Vita-story  Ullip, der Schlagzeuger

 Ullip entwickelte seinen markanten, unverwechselbaren  
 Schlagzeugstil. Treibend, vor dem Tempo spielend, mit  
 eigenen Konventionen und Regeln. „Die Power wird zur  
 Melodie“, sagt Ullip und lenkt damit die Aufmerksamkeit  
 auf Dinge, die bisher viel zu wenig beachtet wurden:  
 „Schlaginstrumente geben nicht nur einen singulären  
 Ton ab. Die Kraft des Anschlages spielt eine eigene  
 Melodie, das Miteinander der minimal variierten Tempi  
 der verschiedenen Schlaginstrumente wird zum 
 Chorus, die Vielfalt der instrumentalen Charakteristika 
 eröffnet ein Universum voller Schwingungen.“